Rosi Steinbach: Wild Nature
18. November 2017—6. Januar 2018

»Wild Nature« – das sind Menschen, Tiere und Pflanzen. Eine verblüffende Auswahl und Mischung von Geschöpfen, die keiner konkreten Kultur, Region oder Epoche zuzuordnen sind. Eine Willkür, die dem Anschauen Lust verschafft. Jedes Objekt setzt neu an und zeigt – wie zufällige Notate aus der Enzyklopädie des Lebendigen – jede Kreatur mit einem ihr zugedachten, von der Künstlerin spendierten Zusammenhang.

Die dünnwandigen Keramikobjekte, hoch gebrannt und glasiert, fassen das Material traditionell auf. Der formbare Werkstoff folgt allein der vorgestellten Figur, kein Zufall, keine experimentell verfremdende Handhabung. Es scheint fast ein spielerisch leichthändiges Nachbilden, an der Grenze zwischen dekorativem und künstlerischem Objekt. Wäre da nicht der Galerieraum, wo die Exponate naturgemäß der Assoziation preisgegeben sind und in der Ambivalenz von Wesen und Gegenstand nach Deutung verlangen Und wäre da nicht auch die Distanz schaffende, hochglänzende Oberfläche, die eine vornehm kühle Aura der Unberührbarkeit erzeugt, die die Figuren hebt und veredelt und gleichzeitig etwas zu verbergen scheint. Die unprätentiösen, realistischen Abbildungen sind dann doch anspruchsvoll und unbescheiden, wenn es um den kleinen, entscheidenden Mehrwert geht, der den Grund gibt, sie herzuzeigen.

Die Schlangen, zum Knäuel gewickelt, verschweigen ob sie aus dem Regenwald, dem Mythos, als Lebensretter oder Todbringer ins Kunstwerk gekommen sind. Zwei Waldrappe, einst in großen Kolonien intensiv bejagt und heute kaum mehr frei lebend zu finden, präsentieren sich tatsächlich in Trophäen-Manier und Affen kokettieren mit ihren menschlichen Attributen; amüsant, hintergründig, unheimlich.

Zwei Porträts, als Tondi ausgeführt, stecken die überschaubare Existenz des Menschen ab. Zum einen Karl, ein jugendliches Gesicht der Gegenwart – und zum anderen sein Gegenüber, Vorfahr, das nachgebildete Antlitz des ältesten uns bekannten Vorzeitmenschen. Seine fossilen Reste wurden gerade überraschend im marokkanischen Jebel Irhoud* gefunden, von den Künstlern Adrie und Alfons Kennis zur Figur rekonstruiert und von Steinbach ins Porträt übersetzt. Die beiden Tondi umspannen nunmehr 300.000 Jahre menschliche Existenz – viel mehr als bislang angenommen - jedoch immer noch wenig im Verhältnis zur Existenz der Tiere.

Steinbach streift gekonnt arglos diesen Zusammenhang von Koexistenz und Hierarchie: Ein Mann trägt behutsam ein Kaninchen. Aber die Größenverhältnisse sind ungewöhnlich – ist der Mann zu klein für das Tier oder das Tier zu groß für ihn? Wer ist richtig? Und vor wessen Maßstab? Ebenso bleibt in den Figurengruppen auf spannende Weise ungesagt, wer wen führt, hält, dominiert oder ob es eine andere Instanz gibt, die die Figuren sortiert, bewertet und in Bezug setzt. Möglich, dass es gar keine gibt – oder jede denkbare.

Der 300.000 Jahre alte Nordafrikaner und der Orang-Utan mit dem Kreativspielzeug, das Kaninchen mit dem Mann, die Frau mit der Gans und auch Karl sind gleichermaßen souverän und borgen sich gegenseitig Pose und Verhalten – kein Urteil, kein Vorwurf. Der Forscherblick von Rosi Steinbach auf die Kreatur hat keinen Moralfilter. Steinbach ist ihren Wesen freundlich zugewandt und so gelingt es ihren Objekten, die Frage nach unserem Bezug zum Anderen jenseits zivilisationstheoretischer Diskurse zu stellen, mitten in der »Wild Nature«.
—Von Tina Simon 
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Dr. phil. Tina Simon
Autorin und Publizistin, Leipzig

*Forscher um Jean-Jacques Hublin vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie haben Fossilien, darunter Reste eines Schädels und eines Unterkiefers, untersucht, die zusammen mit Steinwerkzeugen und anderen Spuren menschlichen Lebens entdeckt worden waren – in einer eingestürzten Höhle in Marokko. Die Forscher halten die Knochen für 100.000 Jahre älter als alles, was man von Homo sapiens bisher an Fossilien gefunden hatte. In der Fachwelt wird der Fund, der aktuell im Magazin »Nature« präsentiert wird, als Sensation gehandelt. Denn wenn diese Datierung stimmt, muss die Geburtsstunde der Menschheit zurückdatiert werden.
[DIE ZEIT, 07.06.2017]

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