Rayk Goetze: Der Gegenwart               
17. September—29. Oktober 2016       

Der Gegenwart

Jede Zeit kennt ihre Wärter und Wächter. In Licht und Heldenpose - oder gebückt im Versteck der Konspirativen schützen und bewahren sie, was ihnen Pflicht oder Konvention anempfohlen haben. Der Gegenwart aber ist sperriger Rebell aus Reflex. Gesteigert ist er als Geistes-gegen-Wart der Querulant, zweifelt, klagt, provoziert und greift mit blitzgescheitem Werkzeug ein in den sorgsam gewarteten Zeitgeist, poltert, intrigiert oder räsoniert raffiniert gegen die Gebote des Common Sense. Ein Typ wie einer gegen alle, der Gegenwart eben.

Rayk Goetzes Bildsprache ist wunderbar geeignet für diese renitente Gebärde. Auf großformatigen Leinwänden findet sich eine große Fülle an sachlichen und emotionalen Gesten. Da sind zunächst geometrische und architektonische Fragmente, zeichnerische Details, Farbseen und -nebel, virtuose Lichter und Schatten, technische Raster, folkloristische Muster und abstrakte, teils erhabene Öl- und Acryl-Farbmassen, die sich überlagern und gegenseitig deuten.

Der Herzschlag der Werke geht zum einen von den Figuren aus. Goetze schafft – von jeher – eine seltsame Gesellschaft von Solisten; Menschenpuppen, Wesen, Engel, Untiere, typische Goetze-Wesen zwischen Farbmaterial und Fiktion. Die fragmentierten oder erweiterten Körper, tanzend, gebärend, hängend und halbiert, stehen Grünewalds opulent entartetem Personage in nichts nach und in der Verbindung zur gegenständlichen Umgebung erinnern sie an Adrian Ghenies Diffusion der Bildelemente.

Mit seinen Protagonisten erzählt Rayk Goetze keine Episoden. Er stellt ihre absonderlichen Wesensmerkmale einzeln heraus, zeigt das Widerständige addiert zu einem unerschöpflichen Arsenal bildnerischer Möglichkeiten und tilgt das Nebensächliche.  Ein visuelles Abenteuer. Es ist noch der Mensch, wie ihn die Renaissance menschlich gemacht hat, doch zunehmend elementar statt natürlich. Von hier aus streift Goetze durch die Kunstgeschichte, streift die Erhabenheit der klassischen Antikevorbilder, die Agitatoren des sozialistischen Realismus, postmodernes Anything-Goes und mythisch spirituelle Parallelwelt-Bewohner, auch martialisch groteske Übermenschen.

Zum anderen geht es um Malerei, um eine intensive Farbgewalt und große Vielfalt an Methoden des Farbauftrags, aber auch um ihre vornehmste Aufgabe; das kaum Denkbare zu zeigen, selbst wenn es, wie hier, als Gedankenrausch oder Traumwelt anmutet. Die Komposition der konkreten und abstrakten Bildbereiche gleicht am ehesten der auktorialen Perspektive eines Montageromans. Oder – wenn man Sampling als zeitgemäße Kulturtechnik akzeptiert – dem Umgang mit Texturen als Kompilation des eigenen Universums. Auskopplung, Medley, Arrangement – alles nahezu dechronologisiert. Verbindendes Element allein ist der Ursprung: ein Künstler, sein Thema. Denn, so Rayk Goetze: » ... Der Gegenwart hält sich in leicht apokalyptischen Zeiten auf, er leistet Widerstand, dabei ist er ein Einzelgänger, ist zärtlich und brutal, gut gewachsen und behende. Wir wissen nicht wie er herausschaut, befürchten aber: prächtig!«
—Von Tina Simon 
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Dr. phil. Tina Simon
Autorin und Publizistin, Leipzig

 

Da sieh nur, welche bunten Flammen!
Es ist ein muntrer Club beisammen.*


Jede neue Schau von Rayk Goetze mag als Wiederbegegnung mit einer wahrhaft pittoresken Gesellschaft erscheinen. Es ist eine Rückkehr in verinnerlichte und gleichermaßen unbekannte malerische Gefilde, als würde man ein vertrautes Haus in neuen Zimmern durchqueren.
Grandezza steht über dem Eingangsportal, eine Schrift hier wechselnd präsentiert zwischen Neon und Messinggravur. Im Hauptkomplex hat sich die Mannigfaltigkeit im Beisammensein ausgebreitet, es ist kein trockenes Konzept aufgestellt, noch wird dem reinen Minimalismus gefrönt.
Das ist Malerei in vielen ihrer Möglichkeiten und in ihrer ganzen Sinnlichkeit.

Die Farben changieren im kompletten Spektrum, gedeckte Signaltöne treffen auf diffuse Tiefen. Angelockt und geblendet von leuchtenden Akzenten verweilt das Auge in fein ausmodulierten Flächen. Dazwischen blitzen raue Aufrisse in der Farbhaut auf: Das hier ist Material, hier fand ein drängender Prozess statt. Diese Brüche ziehen den Betrachter weiter in das Bild. [...]

Somit etabliert dieses Œuvre eine verschobene Wirklichkeit, deren illustre Gesellschaft in ihren verspielten und doch konsequenten malerischen Räumen dem visuellen Flaneur im wahrsten Sinne authentisches Vergnügen bietet. Man kann den Besuch dieser Welt nur ans Herz legen; also bitte: Treten Sie ein!

* Settembrini in Thomas Mann, ›Der Zauberberg‹
—Von Stephan Köhler /Textauszug Katalog
Rayk Goetze – Universum, 2014 


Rayk Goetze, geboren 1964 in Stralsund, lebt und arbeitet in Leipzig 
1975–81 Sportschule in Potsdam
1981–84 Stahlschiffbauerlehre und Abitur in Rostock
Taucher bei der Marine 
1991 Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Prof. Arno Rink und Neo Rauch
1995–96 Accademia di Belle Arti di Firenze, Florenz, IT 
2000 Meisterschüler bei Prof. Arno Rink, HGB, Leipzig

Ausstellungen in Berlin, Stockholm, Hamburg, München,
Dresden, Rostock, Baden-Baden, Potsdam u.a. 

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