Georg Brückmann

Georg Brückmann zeigt Fotografien eines Interieurs, das aus Fotografien gebaut ist – Tisch, Bett, Kamin, Wände, Fenster Türen, Dekoration – wie in den zwanziger Jahren in der Kundmanngasse 19 in Wien.

Margarethe Stonborough Wittgenstein erteilte 1925 den Auftrag zu dieser repräsentativen Stadtvilla, deren Planung ihr Bruder Ludwig Wittgenstein schließlich ausführte. Das Haus Wittgenstein wurde in den Folgejahren zum Treffpunkt der Wiener Intellektuellen. Ludwig Wittgenstein hatte gerade eines seiner Hauptwerke, den Tractatus logico-philosophicus,  vollendet. Dessen Kerngedanke, der Zusammenhang von Tatsache, Sachverhalt, Gegenstand, Form und logischem Raum, spiegelt sich nun in der Architektur wider. Die Kundmanngasse 19 als hausgewordene Philosophie wird in Brückmanns Werk auf  unvergleichliche Weise visuell übersetzt.

Alle sichtbaren Dinge haben in Brückmanns Werk ihren originalen Anschein auf der Oberfläche. Er hat die überlieferten Gegenstände – aus ihren Abbildern – maßstabsgerecht nachgebaut, teils flächig als Kulissen, teils objekthaft in ihren realen Ausmaßen. In Art eines Dioramas hat er sie in seinem Atelier arrangiert und so die damalige Raumsituation nach Vorbild alter Aufnahmen und Zeichnungen der Schwester Hermine Wittgenstein simuliert. Diese Aufbauten sind in Brückmanns als fotografischen Aufnahmen zusammengefasst.

Dem Anschein nach wirklich in Farbe, Form und Dimension, jedoch der Funktion klar enthoben, hat dieser Nach- und Abbildungsmodus unverkennbar Entwurfscharakter. Brückmann kann so die ursprüngliche Idee zu dieser besonderen räumlichen Lebenssituation hervorheben und die lebendige Wohnwirklichkeit zurückdrängen. Hülle und Substanz, Objekt und visuelle Paraphrase treten in Bezug und verbinden sich zur Realität des Unwirklichen nach echtem Vorbild.

Verstärkt wird diese rein gedankliche, ja philosophische Ebene der Wahrnehmung, indem das Erkennen – ja: die Erkenntnis – des Raumes auf einen schmalen Grat beschränkt ist: nur von einer ganz bestimmten Perspektive, auf einer einzigen Blickachse, fügen sich die Bestandteile zu räumlicher Logik zusammen. Weicht man davon ab, zerfällt die Ansicht in ein Chaos aus Formen, Linien und fragmentierten Abbildern diverser Objekte und wird unverständlich und unlogisch.

Diesen punktgenauen, philosophisch ambitionierten Blickwinkel nimmt Brückmanns Kamera ein und schafft eine momentane Illusion, die zwischen Imagination und Rekonstruktion Halt sucht. Oder, nach Ludwig Wittgenstein: ›Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge‹. ›Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten.‹ Und, ›Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen.‹
—Von Tina Simon
 
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Dr. phil. Tina Simon
Autorin und Publizistin, Leipzig
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