Bereinigte Eisberge
LVZ, 15.03.2013. Ausstellung in der Leipziger Josef Filipp Galerie: Osvaldo Budet riskiert den Sprung von der Karibik ins Polarmeer

Auch wenn die Fotografien ziemlich konventionell wirken – schöne Landschaften aufzunehmen ist ja nicht so schwer – beeindrucken sie. Den Reiz der Berge, der Eismassen, der blauen See unter einem hohen, klaren Himmel sieht sich der mitteleuropäische Arm-chair-Traveller doch immer wieder mal gern an. Diese Sauberkeit, diese Unberührtheit. Von wegen. Osvaldo Budet hat aus seinen Fotos nicht nur Menschen, sondern auch deren Hinterlassenschaften sorgfältig herausretuschiert. Als karge Strichzeichnungen liefert er diese Bergbauanlagen, Müllkippen, Antennen oder eben durchs Bild laufende Personen gesondert mit. »Die von mir als Fiktion erschaffenen Orte bilden imaginäre Ansichten von erhabener Klarheit, eine Idealvorstellung von der Arktis, wie wir sie in unserer kollektiven Erinnerung bewahren und erwarten, in natura dort vorzufinden.«

Der in Berlin lebende Puertoricaner, ein Tropenmensch also, hat sich nach Nylesund begeben, einem Dorf auf Spitzbergen, wo zehn Staaten Forschungsstationen betreiben, darunter das deutsche Alfred-Wegener-Institut.

Vier Wochen lang konnte er den Arbeitsalltag der Wissenschaftler und die extreme Natur beobachten. So idyllisch die »gesäuberten« Fotografien auch wirken – Osvaldo Budet erstellt ein Dokument der Veränderung und Gefährdung, das trotz der künstlerischen Verarbeitung eindeutig einen sozialen Charakter hat.

Auf seiner Exkursion hatte er auch die Filmkamera dabei. Diese Aufnahmen sind nun völlig ungeschminkt, zeigen die Arbeit der Forscher in der durch den Klimawandel, aber auch durch die Suche nach Rohstoffen stark gefährdeten Polarregion sowie ihren Alltag, beispielsweise beim Basteln einer deutschen Flagge aus Krepppapier. Der Film ist in der Ausstellung noch in seiner Rohfassung zu sehen, Budet fügt deshalb ein handgezeichnetes Storyboard bei, um sein Konzept zu illustrieren.

Bei all dem lobenswerten gesellschaftlichen Engagement, gefördert durch das Stipendium einer Stiftung für Wissenschaft – nicht Kultur – steht trotzdem die Frage, wie denn eine vom Kunstverkauf lebende, private Galerie mit solch einem Projekt Umsatz machen kann. Auf diesen Zweck ist offenbar eine weitere Werkgruppe ausgerichtet. Budet, der von Haus aus eigentlich Maler ist, legt auch diesen Tafeln wieder Fotografien zugrunde, doch wirken sie diesmal ausgesprochen malerisch. Im Kontrast zur anderen, farbigen Serie, stellt er hier in einer monochromen Stimmung gerade die Spuren der menschlichen Tätigkeit auf Spitzbergen in den Vordergrund. Er gibt den Vorlagen einen harten Kontrast und lässt sie dann per Laser in Metallplatten einbrennen. Mit ähnlichen Technologien hatte er vor Ort in der Forschungsstation zu tun. Zusätzlich legt Budet dann noch per Siebdruck ein Raster über die Bilder. Und schließlich nimmt er den Pinsel und nimmt Weißhöhungen per Hand vor, wie die alten Meister es mit Zeichnungen taten. Die Motive erinnern an Caspar David Friedrichs berühmte »Gescheiterte Hoffnung«. Und in dem Widerspruch von schöner Ansicht und harter Realität haben sie mit dieser Anti-Romantik auch inhaltlich Einiges gemeinsam.
—Von Jens Kassner


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Dr. Jens Kassner
Diplom Politikwissenschaftler
Promotion in Kunstgeschichte
Autor, Redakteur, Kulturmanager
Lebt und arbeitet in Leipzig

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