David O'Kane

Auswege aus der Schleife
LVZ, 02.10.2012 · Der Ire David O’Kane spannt zeitweilige Sichtachsen von Lindenau nach Connewitz. Nur bis Donnerstag läuft die Ausstellung David O’Kanes in der Villa Schomburgk, wo er Motive seiner Videoanimation an den Originalschauplatz zurückbringt. Ausgewählte Arbeiten des Künstlers, darunter das Video »Der Spieler /The Gambler«, sind aber noch etwas länger in der Josef Filipp Galerie präsent.

Die Villa ist keine Ruine, aber seit Jahren ungenutzt. Kabel hängen aus fehlenden Deckenplatten, Schächte sind in die Wände gestemmt. Dazwischen David O’Kanes Gemälde und Grafiken, sparsam gehängt. Mehrfach eine junge Frau von hinten, das lange Haar teilweise geflochten. Kohlezeichnungen von Händen in Rotation; die Villa aus Vogelsicht inmitten eines Labyrints, zerbröselnde Männerporträts.

In einer Animation, zusammengesetzt aus rund 6000 Einzelbildern, kommt all das noch einmal zusammen. Der Betrachter irrt durch die leeren Räume, manche Türen verschließen sich vorsorglich selbsttätig. Der Zopf des Mädchens wird zügig geflochten und wieder geöffnet; der Irrgarten des Umfeldes entfaltet sich aus Papierstreifen; Hände kreiseln. Antiquarische Bücher erobern einen Raum, häufen sich, ganz oben wird Dostojewskis »Spieler« zerpflückt. Währenddessen erscheinen an der Wand Worte, die der Künstler beim Lesen von Flann O’Briens »In Schwimmen-zwei-Vögel« in der deutschen Übersetzung zunächst nicht verstand.

Kommt man aus dem abgedunkelten Videoraum, wiederholt sich das Spiel. Immer noch diese Räume, diese Bilder. Nur für die Bewegung muss man selbst sorgen. Auf faszinierende Weise verschachtelt O’Kane Objekte, Situationen, Wahrnehmungen. Was ist real, was fiktiv? Und wie findet man aus der Schleife den Ausweg?

Am besten, indem man sich mit dem Künstler unterhält. Gerade Tagen hat er sein Meisterschülerstudium in der Klasse Neo Rauch an der HGB abgeschlossen. Vorausgegangen war für den 1985 im irischen Lifford Geborenen ein Studium in Dublin. Nun lebt er noch im Residenzprogramm einer Stiftung in Berlin. »Im Februar wird es dort eine abschließende Ausstellung geben, später eine mit den anderen Meisterschülern in Aschaffenburg.« Ob er in Berlin bleibt, sei noch nicht klar, vielleicht wird Leipzig der neue Wohnort. Eine Rückkehr auf die grüne Insel jedenfalls ist zunächst keine Option. Die Bedingungen für eine Künstlerexistenz seien da im Moment nicht optimal. Die große Familie O’Kane, fast durchweg aus Kreativen bestehend, muss ohne ihn auskommen.

Einige Gemälde heben sich in ihrer Monumentalität heraus. »Blindsight« nennt sich die Serie. Der paradox erscheinende Titel bezieht sich auf eine spezielle Art von Blindheit, bei der der Erkrankte trotzdem optische Eindrücke hat. Dargestellt ist ein sorgfältig gemalter Mann, der nicht nur durch das üppige Leinwandformat, sondern auch der Untersicht wegen riesenhaft erscheint. Mit Stoffstreifen ist er gefesselt, sind auch seine Augen verbunden. Dennoch begegnet er sich mehrfach selbst. Auch hier kommt es dem Künstler nicht nur darauf an, eine mögliche Erzählung anzubieten, sondern wie die berühmten Landsleute Joyce, Beckett und eben O’Brien unendliche Räume der Auslegung zwischen großem Drama und absurder Banalität zuzulassen.

David O’Kane hat keine Angst davor, Begriffe wie »das Erhabene« zu benutzen. Im positiven Sinne, ohne Ironie. Für einen noch nicht 30-Jährigen mag das überraschen, doch mit Rückständigkeit hat es nichts zu tun. Eher mit einer neuen Freiheit, sich nach eigenem Geschmack der weitläufigen Geschichte zu bedienen – mit Ehrfurcht, doch ohne Unterwürfigkeit. Diese Souveränität zeigt sich auch darin, dass er den Rat Rauchs nicht befolgt hat, die gute Lesbarkeit der Bilder etwas herunterzufahren.

Vorwürfe, konservativ oder gar reaktionär zu sein, kann er gelassen hinnehmen. So traditionell die Art des Malens und Zeichnens auch anmuten mag, so innovativ ist O’Kanes Verknüpfung verschiedener Medien. Die statischen Bilder scheinen manchmal nur Vorarbeiten für die Animationen zu sein. Er knüpft an die berühmten Fotoserien Eadweard Muybridges an, macht aber auch Duchamps nicht weniger bekanntem Treppenakt flinke Beine.

Der Abschluss der Meisterklasse an der HGB ist eine biografische Zäsur. David O’Kane will jetzt erst einmal mehr zeichnen als malen. Die Animation bleibt aber, da gibt es neue Projekte und Ideen. Dass die Installation in der früheren Connewitzer Fabrikantenvilla im Gelände des Krankenhauses St. Elisabeth nur wenige Tage zu sehen ist, hat eine interne Logik: Die schwere Fassbarkeit von Zeit und Raum ist ein Hauptthema des Künstlers.
—Von Jens Kassner

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Dr. Jens Kassner
Diplom Politikwissenschaftler
Promotion in Kunstgeschichte
Autor, Redakteur, Kulturmanager
Lebt und arbeitet in Leipzig

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